Vom Pfänder zur Kanisfluh

Samstagmorgen, 11. September. Welch historisches Datum! – 35 Männerriegler besteigen kurz nach sieben Uhr auf Gleis 6 den Thurbo Richtung Winterthur St.Gallen Bregenz. Einer fehlt. Halcom-Fritz. Wo bist du? Krank oder was? Werni von Weisslingen wird in Winterthur und der bayrische Appenzeller-Kamerad Wolfi in St.Gallen zu uns stossen, meldet Ewald Spandel beim Willkommensgruss im Zug. Er hat den aussichtsreichen Ausflug in den Bregenzerwald sorgfältig erkundet und, wie man bald sehen wird, perfekt organisiert.

Am Bahnhof Bregenz angekommen, kommt es bei den Schliessfächern zu einem kurzen Gedränge. Tanzschuhe, Pyjamas und Hygieneartikel finden in einem bestimmten Fach erst Platz als ein gütiger Kamerad sein zweites üppiges Eingeklemmtes aus dem Rucksack entfernt. Oder wie war das genau?

Dann jedoch geht’s ab wie die Post zu Kaffee und Gipfeli. Einigen aber ist das zu wenig. Anke, Chäs und Konfi müssen sie noch haben. Ja sogar Eier und Schinken! Befürchten sie vielleicht einen Hungerast beim Aufstieg zum Pfänder? Der Aufenthalt hier im schönen Kaffeehaus ist zwar etwas kurz; die jungen charmanten Bedienerinnen trennten sich jedenfalls - wie mir schien - mit traurigen Augen von uns aufgestellten Schweizer Mannen.

Nun bummeln wir an gesundem Chruut und Rüebli vorbei, verlassen den lebhaften Markt, queren schleunigst die Strassen, teils auch bei Orange-Rot, und bewundern die schmucken Bregenzer Fachwerkhäuser, Skulpturen und andere Kunstwerke.

Aber schon bald nach dem Martinsturm wird der Weg, potz Donner, protzig "stotzig" !

Wer nicht genug "Schnuuf" hat, oder lose Schuhsolen, bleibt ab und zu auf der Strecke, um sofort frische Bergluft zu schnappen. Ich gebe nicht auf, denkt Martin, der jung gebliebene Achtziger, gibt sich einen "Schupf" und "trappet" gemeinsam mit Clemens gemächlich weiter den Stutz hinauf.

Nichts Neues gibt es in den vorderen Rängen; eigentlich wie immer gehabt. Man denke nur an den Kinderwagen-Weg in Braunwald, Oberalp-Sedrun oder Hasliberg-Meiringen. Ganz zu schweigen von Diavolezza-Bovalhütte-Morteratsch, wo sonst noch allerhand passierte. Ein gutes halbes Dutzend Übermütige wollen auch heute wieder die ersten sein. Und hauen ab wie die Feuerwehr. Lockt sie die Greifvogelschau oder was? Einer dieser Strebsamen soll dann aber bei diesem närrischen Wettlauf drastisch seinen überschwappenden Redefluss reduziert haben. Eine weitere Gruppe wandert dagegen gemütlich bergwärts und hat auf diese Art sogar noch Zeit für philosophische Gespräche, also darüber zu reden, ob zuerst das Huhn oder das Ei gewesen sei. Wegen Mund-Operations-Nachwehen muss sich allerdings ein Kamerad auf möglichst kurze Antworten und Kommentare beschränken. Eine dritte kleine Schar von stets frohen Senioren zieht es vor, sich via Luftseilbahn vergnügt zum herrlichen Bregenzer-Hausberg hochfahren zu lassen, um dort geruhsam Stein- und andere Böcke oder Wildschweine zu bewundern. Als sie dann aber Suppen- und Bratendüfte riechen, zieht es sie kurzum in das nahe liegende Berggasthaus Pfänder zum Mittagessen, wo "nadisna" auch die gemütlichen Bummler zu Tisch kommen. Mit Sauerkraut, Semmelknödel, Spätzle, Pfänderspiess oder anderen deftigen Speisen werden die Bäuche immer runder. Man mag danach gerne die einzigartige Aussicht auf den weiten Bodensee geniessen, über dem gerade ein Zeppelin ruhig seine Runden zieht. Säntis, Hoher Kasten und noch ein paar markante Gipfel lassen sich eindeutig erkennen und bestimmen; andere in Richtung Wolfis Bayernland dagegen weniger. Das dort ist der Spitzmeilen behauptet Ruedi, ich schaue hin und habe so meine Zweifel. Aber was solls! Schön und mächtig sind diese edlen Berge auf alle Fälle! Natürlich sind auch die Allgäuer- und Lechtaler Alpen, Silvretta usw. nicht minder sehenswert. Der zu unseren Füssen liegende Bodensee, heute mit tausend Segelboten übersät, ist natürlich ein ganz besonders hübsches Motiv für unseren Hobby-Fotografen Köbi und andere, die gerne etwas heimbringen möchten. Das gibt extrem geile Bilder. Vor allem, wenn noch die engere Heimat von Willi, Xaver und Kurt darauf sind.

Um halb drei Uhr ist Schluss mit diesen Augenweiden, denn die achtzig Personen fassende Gondelbahn nimmt uns auf und gleitet lautlos hinab nach Bregenz. Was nun? 15 Uhr 21 Busabfahrt nach Bersbuch Gasthaus Ritter, steht in Ewalds Programm. Reichlich Zeit also, am See noch ein Bierchen zu genehmigen und ein elegantes Schiff oder sonst wohlgeformte Sehenswürdigkeiten zu bewundern. Doch dann wird es plötzlich knapp zur Weiterfahrt mit dem Bus, denn die gute Frau servierte und kassierte im Schongang!

Am Bahnhof Schwarzenberg bei Bersbuch angekommen, stehen wir vor der kolossalen, bald 110 Jahre alten, rund 24 Tonnen schweren Lokomotive, die gerade schnaubend und pfeifend Dampf und Rauch in den blauen Himmel befördert. Klar doch, dass dieses Ungetüm sofort hundertfach fotografiert wird.

In den nostalgischen Wagen des Walderbähnles findet jeder einen behaglichen Platz, um die bevorstehende, 5 km lange Dampfbahnfahrt im Rhythmus der alten Zeit während einer halben Stunde zu erleben. Dabei noch mit einem Wälder Bier auf der Plattform zwischen den Wagen mit einem Kameraden anzustossen und die wunderbare Landschaft an der wildromantischen Bregenzerache und die hoch hinauf ragende Kanisfluh zu bestaunen, macht das Vergnügen perfekt.

Als die Sonne immer längere Schatten wirft, erreichen wir das schöne 1300 Seelen Dorf Mellau und wenige Schritte später "unser" rustikales Aktivhotel Kanisfluh.

Schlüssel und Wohlfühl-Zimmer haben wir bald im Griff.

Schweiss oder andere Gerüche gehen in der Dusche rasch bachab und so sind wir parat zum "fühl dich frei" Apéro. Nur wenig später aber sitzen alle erwartungsvoll an den hübsch dekorierten Tischen mit dem Schild "Grüss Gott Spandel" und rüsten sich zum Nachtessen.

Rasch und freundlich werden wir bedient. Ein sehr junges Fräulein fragt Köbi nach seinen Wünschen. Der aber bestellt bescheiden grünen Grüner Veltliner, oder was? Dann bringt sie auf dem Tablett höflich Suppe, Salat, Fleisch und andere Köstlichkeiten an unseren Tisch. Rundum wird es jetzt ruhiger. Nur ein paar Löffel lärmen noch. Als das Dessert kommt, fängt das "Lafere" wieder an. Aber es ist noch erträglich. Als die ersten das Lokal verlassen, um noch ein wenig die Beine zu vertrampen und die Abendstimmung zu geniessen, prosten andere sich mit einem blanken Getränk übermütig zu. Riecht nicht schlecht, sage ich. Likör, Pflümli oder was? Für den Maggi-Ramazotti findet Fredi jedoch keine Abnehmer. Ob sich im Verlauf des Abends noch ein paar Jasser zusammengefunden haben, bleibt im Dunkeln? Ich weiss es nicht.

Beim gemütlichen Spaziergang durchs Dorf kommt uns Ruedi entgegen. Die Bärenhöhle ist voll, sagt er und meint natürlich die von uns angepeilte Beiz. Es herrscht ein turbulentes Treiben, denn nun sind die Rindviecher wieder unten. Der Alpabzug wird ausgiebig gefeiert! Viel Jungvolk. Wir kommen aber durch. Am rauschenden Bergbach ein Wirtshaus. Schön hier, doch warten wir vergebens auf eine Bedienung. Also ziehen wir unsere Strasse weiter und finden – weisch wie guet - in der Metzgerhalle die gewünschten Schlumis. Auch andere Drogen sind erhältlich und werden probiert. Hans findet unter einer Hängelampe, die langsam ihren Schwung verliert, eine ideale chinesische Kopfbedeckung mit Wärmeeffekt.

Als auf dem Heimweg junge Alpabzüglerinnen auf uns zukommen, folgen spontan warmherzige Begrüssungsakte. Potz Donnerwetter, wie das von allen Seiten zu blitzen beginnt!

Da beim Weiterbummeln keine weiteren Sehenswürdigkeiten auftauchen, bleibt uns nur noch "unsere" Hotelbar als Zufluchtsort für weitere Lustbarkeiten. Hier aber sind wir nicht die ersten aber dennoch willkommen. Also rücken wir zusammen und bestellen Bier oder sonst ein würziges Gesöff. Während wir da so friedlich am Diskutieren sind, verfinstert sich auf einmal die Miene des Barmanns furchterregend. Und als der Hüne hinter der Theke auch noch eine sehr bedrohliche Stellung einnimmt, "erchlüpft" Kurt saumässig, erklärt scheu seine falsch verstandenen Worte und zieht sich ergeben zurück, denn der Mann ist nämlich Schwergewichtsboxer. Also Glück gehabt Kurt!

Bis Mitternacht gibt es aber trotzdem noch genug zu trinken und man vernimmt dabei verblüffende Episoden von und über Kameraden. Zum Beispiel soll einen bös gehobelten Finger einfach nicht den Weg zum Doktor gefunden haben, obschon er blutete wie eine Sau.

Sonntagmorgen. Beim Morgenessen herrscht relative Stille, um nicht zu sagen tote Hose, obschon das reichhaltige schöne Buffet zum Frohlocken eingeladen hätte. Der Berichterstatter vernimmt aber doch so nebenbei, dass sich fast jeder, abgesehen vom Gebrüll eines stimmgewaltigen fremden "Festredners" und Alpenkalbs, lärmfrei durch die Nacht geschlafen hat. Das Schädelbrummen in den Köpfen der nachhaltigen Barbesucher stört mich beim Bestreichen des Butterbrotes nicht gross.

Auch Ruedi habe nach der knienden Schlüsselloch-Suche dank detektivischer Erfahrung sein Zimmer praktisch lautlos öffnen und das übermüdete Auge kurz vor Mitternacht doch noch schliessen können. Oder wie war das genau? Erfreut ist man auch, dass sich Hansuelis Magen beruhigt hat und nun einen Tee oder gar mehr ertragen kann. Erwähnen darf man wohl noch folgende Besonderheit: Wenn jeweils frühmorgens an solchen Orten die Kirchen-Glocken läuten, sind bekanntlich die beiden Sepps und auch der Schreiber längst wach. Auch heute. Die Messe besuchen diese Bettflüchtlinge aber doch nicht, denn sie wissen auch ohne Worte von der Kanzel, dass im Alter Laster immer lästiger werden. Oder dass eine gesunde Verdorbenheit besser ist als eine verdorbene Gesundheit.

Zum Aufstieg in die Berge: Mit Sack und Pack verlässt einer nach dem andern das angenehme, freundliche Hotel und - verstellt womöglich dessen Eingang. Als endlich alle da sind, zücken Köbi und Ruedi noch ihre Kameras. Ob ihre Gruppenfotos einmal den Weg ins Internet finden, wissen wir nicht. Aber schlechter als die Abgebildeten aussehen, können die Aufnahmen wohl nicht sein, auch wenn sie vor dem Hotel in der herrlichsten Morgensonne entstehen.

Aber gleich geht es zu Fuss weiter zur Talstation hinauf, um dort die Rucksäcke im Skiraum zu deponieren und anschliessend unbeschwert zur Rossstelle hinauf zu gondeln.

Oben angekommen, sind Herbi und ein paar andere drahtige Bergsteiger schon wieder vorne und nach den Instruktionen des Reiseführers sogleich bereit zum Run auf die Kanisfluh. Andere werweissen noch eine Weile, welcher Gruppe sie sich anschliessen sollen, um bei den anderen vorgeschlagenen Bergwegen nicht allzu sehr auf den Hund zu kommen. Aber dann sind auf einmal alle weg.

Auf recht gut unterhaltenen Pfaden kommt man zügig voran. Man überquert einen steinreichen, rauschenden Bach, sieht mit Interesse die Steinmännchen und weit, weit hinten grasenden Pferde und Rinder. Dazwischen richten sich unsere Blicke immer wieder auf die herrlichen Alpweiden und die imposanten Bergspitzen im Sonnenschein.

"Herrlich", sagt Köbi immer wieder und fotografiert Blümchen oder andere Schönheiten dieser hübschen Berglandschaft.

Der Schreibende befindet sich in einer Dreimann-Gruppe, die schön bedächtig und beschaulich den angepeilten Bergsattel unter der Kanisfluh erreicht und beschliesst, hier an diesem wundervollen Platz einen Landjäger zu verzehren, etwas zu trinken, die herrliche Fernsicht zu geniessen und dann zuzusehen, in welcher Verfassung unsere acht Kanisfluh-Bezwinger absteigen, nachdem sie dem Vernehmen nach auf dem Gipfel einen fantastischen Panoramablick und irrsinnig den Plausch genossen hätten. Steinböcke hätten sie allerdings keine gesehen.

Kurze Zeit später kommen sie tatsächlich mit etwas krummen Beinen bergab, lassen beim Vorbeigehen mit zündroten Köpfen ein paar faule Sprüche fallen und geben sich betont fit.

Unser Abstieg zum Gasthaus Wurzachalpe hat es schon noch in sich, die Stöcke helfen uns aber sehr, einen schönen Teil des Schwer- und Übergewichts aufzufangen.

Natürlich ist es dann ein wahrer Genuss, in der Gartenwirtschaft die verlorenen Energiereserven mit Gerstensaft und Kuchen wieder zu ergänzen.

Bei diesem kräfteraubenden Abstieg hat Ruedi immer wieder von einem Fax, der soeben bei ihm oder bei mir angekommen sei, berichtet. Dass aber sogar ein Päckli eingetroffen sei, habe ich ihm nicht abnehmen können.

Auf dem Weg zurück und hinunter zur Rosstelle begegnet uns eine Frau, die stehen bleibt und ganz verwundert aber höflich fragt, woher denn all die vielen strammen Männer kämen. Ruedis Heiratsantrag lehnt sie aber mit einer abschätzigen Handbewegung sofort ab, kehrt uns den Rücken zu und zieht weiter.

Während wir uns der Rossstelle nähern, ist dort das Frühschoppenkonzert noch voll im Gang.

Entgegen dem Programm Ewald, kehren wir nicht dort, sondern auf der sonnigen Terrasse im Gasthaus nebenan ein. Denn dort sind unsere anderen Kameraden bereits daran sind, sich gütlich zu verpflegen.

Hans bietet mir sofort sein halb leeres Speckbrettli an und ich nehme es gerne entgegen, denn der Kellner bekundet bei den vielen Gästen einige Mühe, uns Nachzüglern Speis und Trank noch vor der Talfahrt zu servieren. Während ich esse, höre ich immer wieder lautes Lachen und spassige Bemerkungen. Den Grund, warum Marcel den Albert plötzlich fragt, ob er auf ein Verdienstglas spekuliere, habe ich leider überhört.

Schliesslich verlässt die illustre Mannschaft diesen gemütlichen Ort im schönsten Sonnenschein nur ungern und schaukelt per Gondel gespannt talwärts.

Im Bus ab Mellau findet schliesslich jeder mit sehr enger Tuchfühlung und eingezogenem Bauch einen Platz von wenigen Quadratzentimetern.

Auch Trittbrettfahrer werden geduldet. Die Fahrt über das Bödele nach Dornbirn, übrigens eine sehr gefällige Passstrasse, bietet uns der Bus genügend Platz und erlaubt freie Sicht auf alle Passagiere und Lustenau, die engere Heimat von Skirennfahrer Marc Girardelli. In Dornbirn schaffen wir das Umsteigen in den Zug nach Lindau gerade noch rechtzeitig. Die kurze Hektik ist vorbei und man kann bis Friedrichshafen (nicht bis Romanshorn) ruhig und vergnügt zurücklehnen und die riesigen, an uns vorbeiziehenden Obstplantagen und Rebhalden mit grossen Augen bewundern. Kurz vor halb sechs fährt der Zug in Friedrichshafen ein und wir steigen um. Ja, das können wir nun schon ganz gut! Ein Katamaran wartet im Schiffshafen auf uns. Nach einem kurzen Eilmarsch durch ein Gewimmel von Touristen liegt das flotte Schiff plötzlich vor uns und wir finden darin sogar noch vornehme Plätze.

Ewald schaut ins Portemonnaie und verkündet nicht ohne Stolz, dass jetzt, dank Euroschwäche, für jeden noch ein Getränk drin liege. Das ist natürlich super, meint TV-Albert und holt sich dazu gerade noch ein paar Nüssli. – Die Überfahrt nach Konstanz gefällt allseits gut und jene, die sich auf das Aussendeck gewagt haben, hat der Wind zum Glück nicht weggefegt. Unversehens befinden wir uns im angepeilten Hafen und müssen jetzt tatsächlich nur noch zwei Mal umsteigen. Diesmal klappt es aber nicht so ganz, denn Präsi Otmar führt eine grosse Schar folgsamer Nachläufer auf "seinem" Weg zum richtigen Gleis und reservierten Waggon nach Winterthur, selbstverständlich mit Umsteigen. Eine immer noch frohgelaunte Mannschaft verlässt hier den Zug, stellt sich auf dem Perron in Reih und Glied auf und jeder verabschiedet sich von jedem mit einem ordentlichen Händedruck und dem Wunsch auf ein frohes Wiedersehen.

Wieder haben wir eine aussergewöhnlich schöne, kurzweilige Reise mit vielen wundervollen Aus- und Augenblicken erlebt. Vielen herzlichen Dank Ewald, das hast du sehr gut gemacht, du kannst bleiben und darfst auf keinen Fall umsteigen!

Berichterstatter: Hanspeter Ammann

Originalbericht